Urban Farming gibt es bereits seit den siebziger Jahren. Damals entstanden in New York die ersten Community Gardens. Gegen den Verfall der Stadtviertel versuchte man mit gemeinsamen Blumen- und Gemüsebeeten entgegenzuwirken.
Während im 19. Jahrhundert die Menschen aufgrund der Industrialisierung in die Städte zogen, zogen die Gärten vor die Städte. In der heutigen Zeit gibt es dank leerstehender Industrieflächen sowie sinkenden Einwohnerzahlen genügend Platz für urbane Felder. Verstärkt wird dieser Trend zur Selbstversorgung durch sinkende Löhne oder Arbeitsplatzverlust.
Heute erproben eine junge Generation von Stadtbewohnern neue Konzepte wie Open-Source-Gärten oder Indoor-Gemüseanbau auf Dächern, Brachflächen, Balkonen und Terrassen.
Urban Farming macht die Runde
In den Vereinigten Städten gilt bei vielen dieses Konzept bereits als Anfang vom Ende der modernen Agrarwirtschaft. Die ehemalige Autometropole Detroit, welche von zwei Millionen Einwohnern auf weniger als 900.000 geschrumpft war, stellt das weltweit größte Stadt-Farm-Projekt auf die Beine.
Doch nicht nur dort ist das Umdenken spürbar. Die Slow-Food-Bewegung, welche auf regionale und saisonale Lebensmittel setzt, will alles von Industriebrachen bis hin zu Schulhöfen in fruchtbare Landschaften verwandeln.
Michael Pollan, der amerikanische Ernährungsaktivist, sieht im Urban Farming aufgrund der steigenden Ölpreise die einzige Möglichkeit eines nachhaltigen Lebensstils inmitten einer Großstadt.
Metropolen wie Hongkong, Shanghai und Singapur fördern bereits seit Jahren die innerstädtische Landwirtschaft als Versorgungs- und Einkommensquelle.
Stadtacker gehören auf Kuba sogar zum offiziellen politischen Programm. Als Start gilt der Zusammenbruch der Sowjetunion und damit der Wegfall von Düngelieferungen an den sozialistischen Bruderstaat. Die agricultura urbana liefert in Havanna und Santiago seitdem 90 Prozent der frischen Lebensmittel.
Trend zur Selbstversorgung wächst
Immer mehr Städtler hegen den Wunsch nach Naturerfahrung innerhalb ihrer eigenen Nachbarschaft. Daher bilden sich immer mehr Gruppen die Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten anlegen. Sie wollen damit nicht nur ihre Umgebung gestalten, sondern auch ökologische Nahrungsmittel anbauen. Die einstigen Gegenmodelle zum agrarischen Land, werden so zu neuer Natur, die sich zurückgeholt werden soll. Dabei gleicht kein „Garten“ dem anderen.
Im Trend liegen dabei klar die „Grünen Anlagen“. Sie kommen in Form von Gärten, Balkonen oder Terrassen. Nicht zuletzt wegen der derzeitigen Wirtschaftslage sind diese sehr gefragt.
Zwischen 2007 und 2011 wuchs laut dem Ifak Institut die Zahl der Städtler, welche über eine Terrasse oder einen Garten verfügten von etwa 50 Millionen auf mehr als 55 Millionen an.
Was früher als spießig galt, erfreut sich heute immer mehr Beliebtheit. Die „Gated Communitys“, vielen als Schrebergarten bekannt, weisen mittlerweile lange Wartelisten auf von Menschen, welche eine Parzelle ihr Eigen nennen wollen. Meist sind dies junge Familien mit Kindern.
Neben diesem anhaltenden Trend erfreut sich auch der heimische Anbau von Kräutern, Obst und Gemüse in den Städten immer mehr Beliebtheit.
Fast 1,5 Millionen Blogbeiträge aus 13 verschiedenen Ländern wurde im Global Garden Report 2010 von Gardena dafür unter die Lupe genommen. In den 118.000 deutschen Beiträgen wurden besonders Küchen- und Biogärten heiß diskutiert. Neben dem ökonomischen und ökologischen spielt auch der Wunsch nach Transparenz eine wichtige Rolle.
Die Zukunft heißt Urban Gardening
Die sich bereits etablierte Gartenbranche bedient die neue Zielgruppe eher langsam. Begründet wird diese mit der Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei können sich die Begeisterten in zahlreichen Blogs und Foren Hilfe holen wie Tipps von Erfahrenden Gärtnern oder ganze Bauanleitungen für Anfänger bis Fortgeschrittene.
Eine Vielzahl kleiner Produzenten sowie Onlinehändler haben die Lücke erkannt und bringen auf der gesamten Welt neue Produkte für das Urban Gardening heraus. Dabei wird deutlich, dass die junge Generation der Stadtgärtner mit dem Einheitsbrei aus dem Baumarkt nichts anfangen kann.
Die klassischen Blumenkästen müssen für moderne Konzepte weichen. Wie etwa die über das Geländer gestülpte Blumenbrücke. Sogar die einfache Gießkanne hat in den neuen Gärten ausgedient. An ihrer Stelle tritt der Sprayman, ein Hybride der sprühen und gießen kann. Wobei der städtische Naturliebhaber wenig Zeit und Lust hat sich dem Gießen seines Gartens zu widmen. Ihm zur Hilfe kommen zum Beispiel Aquasticks. So ist die Wasserversorgung zur Not auch mehrere Wochen ohne den Gartenbesitzer sichergestellt.
Auch Stadtbewohner ohne eigene Anbaumöglichkeiten versuchen sich zu behelfen. Das Guerilla Gardening beschreibt dabei die Bepflanzung von begrenzten innerstädtischen Flächen wie den Raum um die Straßenbäume oder brach liegende Grünstreifen.
In Deutschland stellt diese Methode in den meisten Fällen eine Straftat da die als Sachbeschädigung verfolgt werden kann. Meist sehen Behörden und Gemeinden allerdings von einer Strafanzeige ab. Durch das geringe Budget für Stadtbegrünung begrüßen viele sogar die Pflanzaktionen. Oft gelingt so auch der Anstoß für die offizielle Freigabe städtischer Flächen.
Das vertikale Biotop
Auch wenn das Interesse am Urban Farming groß ist und weiterwächst, muss der Umgang mit der Natur natürlich erst erlernt werden. Was für den Experten nur ein normaler Extremstandort auf dem städtischen Balkon ist, stellt den Einsteiger vor ungeahnte Aufgaben. Er muss sich das Wissen Rund um Gefäße, Substrate, Dünger und Co. erst einmal aneignen.
Dies führt zur Entstehung eines neuen Marktes Rund um die Bedürfnisse dieser neuen Gärtner Generation. Mittlerweile werden Seminare zu den Grundlagen des Balkongärtners angeboten in denen auch die Praxis nicht vergessen wird.
Durch den Mangel an Fläche auf den heimischen Balkonen und Terrassen, geht der Trend des urbanen Gartens immer mehr zum vertikalen Biotop. Hier gibt es diverse Umsetzungsmöglichkeiten:
Pflanzetageren: Hier werden kleeblattförmige Gefäße versetzt angeordnet und so hoch es geht aufeinandergestapelt. Meist erreichen sie dabei schwindelnde Höhen.
Minigarden: Dieses vertikale Pflanzensystem eignet sich sowohl für den Innen- als auch für den Außenbereich. Mit ihnen lassen sich ganze Wände oder die komplette Balkonbrüstung begrünen.
Skyplanter: Es wird der freie Raum unter dem Nachbarbalkon oder der Zimmerdecke genutzt. In einer Art umgedrehter Blumentopf werden hier Pflanzen von der Decke herab nach unten wachsen.
Alle, die weiterhin keine Möglichkeit haben zur Selbstversorgung, will die Webcommunity Mundraub zu mindestens ein wenig Abhilfe schaffen. Tausende öffentliche zugängliche Beeren, Kräuter, Nüsse sowie Obst sind über das Portal zugänglich.
Eigenes Projekt starten
Ihr wollt euer eigenes Gartenprojekt in der Nachbarschaft ins Rollen bringen? Da gemeinsames Gärtnern zu einer engeren Gemeinschaft beitragen kann, haben wir einige Tipps für den perfekten Start in das eigene Urban Gardening Projekt.
Finde dein Team
Alle geht es nicht, daher ist es nötig sich in der Nachbarschaft nach motivierten Mitstreiter: innen zu erkundigen. Dabei geht es um ein langfristiges Projekt, wo sich jeder vorher Gedanken machen sollte, ob er die nötige Zeit aufbringen kann.
Organisiert euch
Vorher abzuklären, wer bereits über gärtnerisches Vorwissen verfügt, ist von Vorteil. Vielleicht hat sogar jemand schon ungenutztes Gartenwerkzeug? Auch ist es wichtig über einen geeigneten Ort zu reden. Vielleicht kennt jemand lokale Vereine, mit denen man sich zusammentun kann.
Der richtige Ort
Wenn ihr euch vorher Gedanken macht, was ihr genau pflanzen wollt, könnt ihr besser einen geeigneten Ort für euer Projekt finden. Wenn ihr klein anfangen wollt, findet ihr am Wegrand oder in Baumscheiben Platz, um sie zu bepflanzen. Vielleicht ist auch ein Gemeinschaftsbeet im Hinterhof die beste Wahl für euer Projekt. Falls ihr etwas Großes schaffen wollt, informiert euch beim Bezirksamt über mögliche nutzbare Brachflächen.
Die richtigen Pflanzen
Die meisten Projekte sind dem Wetter ausgesetzt und sollten entsprechend an Widerstandskraft besitzen. Sonnenblumen, Stauden oder Stockrosen sind daher ideal. Aber auch bei Gemüse und Kräuter gibt es widerstandsfähige Gewächse.
Pflanzen pflanzen
Viele Samen und Setzlinge sind im örtlichen Gartenfachgeschäft erhältlich. Aber auch viele Supermärkte und Drogeriemärkte leisten Abhilfe. Auf der Verpackung findet ihr meistens die nötigen Informationen, um die Pflanzen gerecht unter die Erde zu bringen sowie zu ihrer Pflege.
Pflege des Projekts
Nach dem Start wollen die Pflanzen und was ihr alles sonst eingepflanzt habt, auch gepflegt werden. Dazu gehört neben dem Gießen auch das Unkraut zupfen und das Ungeziefer fernhalten. Denn euer gemeinsames Projekt benötigt viel Liebe, Geduld und eine Menge Zeit. Teamwork ist hier das A und O.
Gemeinsames Wissen
Während der Arbeit ist die beste Zeit das angesammelte Wissen mit den anderen zu teilen. So können auch bis dato Stubenhocker zu richtigen Gartenprofis werden. Und falls es doch an Wissen scheitert, hilft das Internet oder zahlreiche Ratgeber in der Buchhandlung garantiert weiter.
Die Ernte
Durch das Gemeinschaftsprojekt wächst die Nachbarschaft spürbar zusammen. So ist es super, aus der Ernte ein leckeres Essen für die Gemeinschaft zu zaubern. Wie wäre es mit einem Feierabend-Picknick oder Grillabend mit frisch gepflücktem Gemüse?
Das neue Ding nach Bio?
Durch das Greenwashing wurde „Bio“ für viele Verbraucher unglaubwürdig. Zudem verliert die LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit immer mehr an Sympathie. Daher suchen wir neue Wege für unser ökologisches Bewusstsein.
Dabei praktizieren viele eine Doppelmoral. Während sie auf Nachhaltigkeit plädieren, waren sie mit ihren dicken SUVs zum Bio-Supermarkt, anstatt die fünf Meter zu Fuß zurückzulegen.
Während LOHAS sich Orientierungshilfe im Biosiegel Dschungel beim Verbraucherschutz holen, praktiziert die Gruppe der NOHAS offen einen ungesunden und ökologisch unkorrekten Lebensstil.
Das Urban Farming scheint für viele die realistischste Möglichkeit auf Erfolg zu sein, nachdem die einsame Hütte im Wald für viele wohl nur eine Fantasie bleiben wird. Doch der kleine Gemüsegarten auf dem heimischen Balkon ist nur ein kleiner Schritt in eine ökologische Autonomie.
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