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Selbstbestimmend zu entscheiden, wo man lebt oder welchen Beruf man ergreift, bedeutet Individualität. Zur Individualisierung gehört aber auch zu entscheiden ob und in welcher Form man seine Sexualität praktiziert und vieles mehr. Was vorher in der Entscheidung der Politik oder der Kirche lag, wird nun in die Hand eines jeden einzelnen gelegt.

Wieso es dem Menschen nach Individualität bestrebt

Der Wunsch nach Individualität hat im Laufe der Zeit immer mehr Bedeutung gewonnen, auch wenn sich der Grund nicht rational erklären lässt. Vielmehr scheint es der Wunsch des Menschen zu sein, für sich nach mehr Autonomie und Freiheit zu kämpfen.

Einen wichtigen Teil zu diesem Wunsch trägt die Geschichte bei, welche voll ist mit auferlegten Grenzen. Der Mensch möchte die ihm auferlegten Fesseln sprengen. Schon zu der Zeit der französischen Revolution galt es, sich den Zwängen des Adels zu entledigen.  Während der Industriellen Revolution herrschten Gewerkschaftsbewegungen und Arbeitskämpfe.

Zum persönlichen Glück eines Menschen zählen seine Freiheit sein Leben nach seinen Wünschen gestalten zu dürfen. Nicht nur die Chance auf unabhängiges Leben und ausreichend vergütete Arbeit zählen dazu, sondern auch das politische Mitbestimmungsrecht. Immer mehr Migranten, vorwiegend Frauen, sind daher unterwegs um sich Selbstverwirklichen zu können.

Länder mit einer Politik, welche der Individualisierung des Menschen im Wege stehen, waren im Laufe der Geschichte bereits mehrfach zum Scheitern verurteilt. Seit der Nachkriegszeit und dem Wohlstandszuwachs in den 1960er, erleben die westeuropäischen Gesellschaften einen massiven Zuwachs an individueller Freiheit. Die neuen materiellen Möglichkeiten bieten zahlreiche neue Optionen in der privaten Lebensführung. Beispiele hierfür sind der Konsum sowie die Mediennutzung.

Während der Trend zur Individualisierung auf ökonomischer Ebene mit der Ausdifferenzierung der Märkte einhergeht, betetet es auf sozialer Ebene, das jeder sein Leben heute mehr an seine persönlichen Wünsche anpassen kann.

Nicht nur eine Frage des Einzelnen

Individualisierung prägt eine Gesellschaft bis in ihre Wurzeln, denn mit ihr verändert sich massiv das Bild, welches wir von einem perfekten Leben haben. Das, was früher für die breite Masse galt, ist heute unrelevant geworden. Die noch im Industriezeitalter geltenden Normen mit ihren immer gleichen Ablauf unseres Lebens verblassen langsam.

Heute behalten wir unsere jugendlichen Verhaltensweisen noch bis in das Erwachsenalter. Auch die Entscheidung für Nachwuchs wird heute im Vergleich zu früher um einige Jahre nach hinten verschoben. Damit wollen wir die Wahl zu unserer eigenen Individualisierung länger aufrechterhalten.

Während 1960 Frauen ihr erstes Kind bereits mit 25 bekamen, sind die Mütter heute im Durchschnitt fünf Jahre älter. Dabei sind die längeren Ausbildungszeiten im vergleich zu damals ein Grund für diese Verlagerung. Denn um sein Leben optimal selbst bestimmen zu können, ist es sinnvoll einen hohen Ausbildungsgrad sowie einen anschließend gut bezahlten Job zu haben. Dies gilt für jedes Geschlecht gleichermaßen.

Dabei ist es heute üblich, dass sich die Individualisierung auch anhand mehrerer Jobwechsel charakterisiert. Dies wird als positive Optionenvielfalt interpretiert und trägt zur Beschäftigungsfähigkeit bei. Denn auch in der heutigen Arbeitswelt ist es wichtig, viele Facetten abdecken zu können, um nicht den Anschluss zu verlieren.

Abseits der Arbeitswelt erhöht sich die Scheidungsquote dank einer gesteigerten Individualisierung. Während auf dem Land jede dritte Ehe geschieden wird, ist es in der Großstadt bereits jede zweite. Soziologen gehen davon aus, dass sich dies auch nicht so schnell ändern wird. Bei dem psychologischen Effekt, welcher bei einer Scheidung stattfindet, lernen Kinder sich mit wechselnden Familienformen zu arrangieren. Daraus resultieren zwei Unterschiedliche Wege: Während die einen sagen, dass sie so bereits früh lernen, dass eine Zweierbeziehung nicht ausschlaggebend für ein glückliches Leben ist, sagen andere das es diesen Kindern an Bindungssicherheit und Konfliktfähigkeit fehlt. Dies würde ihnen später erschweren, selbst eine dauerhafte Partnerschaft einzugehen.

Individualisierung = Single-Gesellschaft?

Viele beklagen durch die Individualisierung eine zunehmende Tendenz zu antisozialen Werten wie Egoismus. Sie denken, dass das „Ich“ dabei zu stark im Vordergrund steht. Dies sei auch einer der Hauptgründe für die erhöhte Zahl an Scheidungen.

Die Gründe sind allerdings eher in der Ökonomie als in der Moral des einzelnen. Heute ist es dank finanzieller Unabhängigkeit eher möglich, sich eine Scheidung „leisten“ zu können. Auch sind die Ansprüche an eine Beziehung heute höher als in der Vergangenheit. Denn aus reinen Zweckgründen kann heute keine Ehe mehr bestehen bleiben. Die geänderten gesetzlichen Regelungen, welche die Folgen einer Scheidung benennen, tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei.

Als negativer Punkt der Individualisierung ist die erhöhte Bereitschaft zu einem Leben als Single aufgeführt. Mittlerweile leben rund 15,9 Millionen Menschen in der Bundesrepublik allein. Das ist jeder Fünfte Einwohner des Landes. Seit 1991 ist der Anteil um 6 Prozent gestiegen.  In Großstädten welche mehr als eine halbe Millionen Einwohner haben, lebt jeder Dritte in einem Einpersonenhaushalt. Dabei wird allerdings nicht deutlich, ob es sich dabei wirklich um Singles handelt oder um Paare, die in getrennten Wohnungen leben. Die Statistiken sind nicht dazu in er Lage, sämtliche Lebensstile zu erfassen und korrekt wiederzugeben.

Gemeinschaften verlieren an Bedeutung?

Eine Frage ist, ob die gepflegten Werte einer Gemeinschaft im Rahmen von Individualwerten ihre Bedeutungen verlieren. Die Versicherung Heidelberger Leben führte dazu eine Umfrage bei Menschen zwischen 16 und 35 Jahren durch. Sie wollten die Lebensziele der Befragten wissen.

  • Platz 1: Gesund sein (93%)
  • Platz 2: Unabhängigkeit (90%)
  • Platz 3: Gute Freunde (89%)
  • Platz 4: Für die Familie da sein (84%)
  • Platz 5: Mehr als ein Kind haben (70%)

Es zeigt sich, dass man bei einem individualistischen Lebensentwurf oft auf viele Menschen außerhalb der eigenen Familie angewiesen ist. Selbstverwirklichung heißt oft offen und kooperativ sein. Viele unsere persönlichen Ziele können wir nur durch die Unterstützung anderer realisieren. Das was früher Sache des Staates war, liegt nun in der Verantwortung jedes Einzelnen. Als Sicherheitsnetz gewinnen daher Familie und Freunde immer mehr an Bedeutung da man sich heute auf staatliche Systeme immer weniger verlassen kann. Ganze 81% sind davon überzeugt, dass sie bei einer Notlage eher auf die Familie als auf den Staat verlassen können.

Aufstieg der Genossenschaften

Die erhöhte Anzahl an Genossenschaften machen deutlich, dass wir in einer hochindividualisierten Gesellschaft leben und sich neue Unterstützungs- und Gemeinschaftsformen bilden. Allein 2011 wurden in Deutschland knapp 400 neue Genossenschaften gegründet. Dazu zählen Solargenossenschaften sowie Wohngenossenschaften.

Was lange als verstaubt und veraltet galt, sind es heute Instrumente, um dezentrale Kräfte zu bündeln. Da wo der Staat oder andere Institutionen zu schwerfällig sind, können sie Veränderungen herbeiführen. Beispielsweise bei neuen Projekten im Bildungswesen oder der Energiewende.

Der Wandel der Technologie

Speziell in den sich entwickelten Staaten erlebt der Prozess der Individualisierung durch den technologischen Wandel einen Schub. Soziale Medien in den arabischen Ländern eröffnen die Möglichkeit zur Vernetzung, um sich gemeinsam gegen die Politik zu stellen, um ihre individuelle Freiheit zu erlangen.

Doch auch in der westlichen Welt erweitert das Internet die individuelle Freiheit. Egal ob auf der politischen Ebene oder auf kultureller Ebene. Das Internet bietet viele Möglichkeiten sich individuell darzustellen. Beispielsweise als Autor des eigenen Blogs oder E-Books oder Designer für eigene Produkte.

Seit 2012 verkauft Amazon mehr E-Books als Hardcover-Ausgaben. So kommen auf 100 Hardcover 108 Kindle-EBooks. Durch die Möglichkeit des Selbstverlages steigt zugleich der Kreis der Autoren. Kindle Direct Publishing macht es Menschen möglich, sich auch ohne einen Verlag als Autor selbst zu verwirklichen.

Industrielle Revolution – Auf ein Neues

Auch die industrielle Fertigung wird heute mehr und mehr in die Hand von Einzelpersonen gelegt. 3D-Drucker bilden den Start dieser Revolution. Mit diesen lassen sich beliebige Gegenstände ausdrucken. Wie damals beim Übergang von Mainframe-Computern zu PCs, wird diese Art der Industrialisierung nun auch für den Normalmenschen erschwinglich.

Die Centre for Bits and Atoms die FabLabs eröffneten dafür kleine Produktionsstätten in denen diverse Produkte produziert werden können. Mittlerweile sind über 50 dieser FabLabs weltweit im Einsatz. In Deutschland wurde in Köln eine der ersten FabLabs gegründet: Die Dingfabrik. Eine Art offene Werkstatt, mit der man dank computergesteuerter Maschinen Objekte herstellen kann, die sonst aus industriellen oder wirtschaftlichen Gründen nicht herstellbar wären. Interessant ist so etwas für das Herstellen von Ersatzteilen, welche nur in einer kleinen Stückzahl benötigt werden.

Selbst-Optimierung

Unser Leben, unser Körper und unsere Gesundheit wird mittlerweile mittels Digitalisierung über unsere Smartphones erfasst und erlaubt so eine neue Form der Selbst-Erfassung.

Die amerikanischen Wired-Journalisten Gary Wolf und Kevin Kelly gründeten 2007 die Quantified-Self-Bewegung. Diese strebt eine Verhaltensoptimierung anhand der Basis persönlicher Daten an. Sie sagen, da wir von uns allein nicht in der Lage sind, unsere Daten zu erfassen, sind wir auf die Hilfe von Maschinen angewiesen.

Mittlerweile erhält die Quantify-Self-Bewegung weltweit Zuspruch. In mehr als 50 Städten finden regelmäßige „Meetups“ statt. Dort geht es um Erfahrungsberichte über sämtliche Bereiche des Self-Tracking wie beim Sport oder für die Gesundheit.

Die Me-Cloud

Laut der World Bank gibt es derzeit etwa sechs Milliarden mobile Geräte wie Smartphones und Tablets. Es ist zu erwarten das diese Zahl stetig zunehmen wird. Mit diesen Geräten ist es ihren Besitzern möglich, zu jederzeit ihre individuellen Daten erfassen zu können.  Dazu zählen neben Bewegungsprofilen und unser Nutzverhalten auch Fotos, Notizen sowie Kommunikation. Da Sensoren zur Datenerfassung immer kleiner und preiswerter werden, ist damit zu rechnen das bald jede Kaffeemaschine oder sonstige Maschine über eine eigene IP-Adresse verfügen wird.

Mit dem „Internet der Dinge“ kann alles auf der Welt erfasst und Feedback geben. So können viele Herausforderungen der Zukunft mit Feedbackschleifen positiv verändert werden. Beispielsweise in der Ökologie. Wir werden auch in der Lage sein zu wissen, wann wir zu viel Energie verbrauchen.

Um das „Gold der Gegenwart“, unsere persönlichen Daten, herrscht bereits ein heftiger Kampf. Durch „Big Data“ sollen die individuellen Verhaltensweisen von Einzelpersonen ausgewertet werden, um für ihn zugeschnittene Angebote zu erstellen. Veraltete Methoden der Marktforschung haben dabei längst ausgedient.

Identitätsmärkte

Durch den Wunsch nach Individualisierung wächst auch der Markt, welcher sich damit beschäftigt. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Nespresso-System, welches die Zubereitung in der gewünschten Geschmacksrichtung ermöglicht. Das steigende Wachstum des Nestlé-Konzerns zeigt sich deutlich im Preiskampf. Kunden sind bereit für ein Kilo Nespresso Kaffees zwischen 70 und 90 Euro zu zahlen. Dies ist zehnmal so viel   wie bei einem herkömmlichen Kaffee. Dies macht deutlich, dass Individualität mit einem höheren Preis gleichgesetzt wird.

Auch der Automarkt zeigt sich diese Preissteigerung. Denn während ein Automobil mit einer Standardausstattung günstig angeboten wird, wählen viele Kunden kostspielige Extras um das Auto zu etwas persönlichen zu machen und es so mehr seiner eigenen Individualität anzupassen. Denn je mehr von einem persönlich in der Ware steckt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einen höheren Preis dafür zu bezahlen.