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Militante Veganerin Screenshot Instagram

Provozieren um jeden Preis

Es polarisiert, vegan zu leben. Erst recht, wenn man es so macht wie die junge Wiener Ärztin Raffaela Raab. Sie macht sich die Polarisierungskraft des Themas zunutze und hat sich so in kurzer Zeit eine riesige Fangemeinde in den sozialen Medien aufgebaut. Doch wie kam es dazu und wie tickt die „militante Veganerin“?

In der Öffentlichkeit

Die „Militante Veganerin“ kann in jeder deutschen Stadt plötzlich vor einem auftauchen: Blond, mit hochgeschobener Sonnenbrille, schwarz gekleidet mit Jacke und Shirt, darüber ein knallroter Schulranzen. Und schnell zur Sache kommen, wenn ein Vater neben Frau und Kind auf die Frage, ob sie schon vegan leben, mit „Nein“ antwortet. Und höflich hinzufügt, dass er sie als Veganerin akzeptiere. „Ich muss euch wirklich nicht akzeptieren, genauso wenig wie ich Rassisten, Nazis oder andere Idioten akzeptieren muss.“

Dann spricht die junge Frau in dem Video, das vor wenigen Tagen in irgendeiner Fußgängerzone gedreht wurde, der Familie das Recht ab, Fleisch zu essen, denn „ich kann ja nicht einfach entscheiden, dass ich Sie oder Ihr Kind jetzt zum Schlachthof schicke“. Am Ende schreit die verbal tatsächlich militante Veganerin auch noch das Kind an, weil es – wie die Eltern nicht im Bild – offenbar einen Veganismus-Flyer an den Vater weitergibt: „Lass dir nichts Neues einreden! Dein Papa will, dass du weiter Tiere quälst. Hör nicht auf die Veganerin. Sie könnte ja Recht haben und mein ganzes Weltbild erschüttern!“

Ein Video - 10 Millionen Aufrufe

Über 750.000 Mal wurde der Clip auf TikTok bereits angeklickt. Über eine halbe Million Follower hat die „militante Veganerin“, die mit bürgerlichem Namen Raffaela Raab heißt und aus Wien stammt, dort bereits gesammelt. Bis zu zehn Millionen Klicks erzielen ihre provokanten Beiträge. Auf Instagram folgen ihr mehr als 56.000 Menschen, auf Youtube knapp 82.000, auf Twitch fast 48.000.

Doch wer ist diese Raffaela Raab? Und wie ist sie zu dieser Art von radikalem Aktivismus gekommen?

„Wenn ich eine Diktatorin wäre, würde ich tierische Produkte verbieten“.

Die heute 27-jährige Aktivistin stammt aus einer Wiener Arztfamilie, studierte Medizin in München, promovierte dort 2021 an der Ludwig-Maximilians-Universität und ernährte sich schon vorher zunehmend vegan.

Das Schlüsselerlebnis, das sie zur radikalen Vegan-Aktivistin werden ließ, datiert Dr. Raab auf einen Spieleabend im Dezember 2020. „Ich sollte die Frage beantworten, welches Gesetz ich einführen würde, wenn ich Diktatorin von Österreich wäre“, verriet sie vor wenigen Wochen dem „Spiegel“. „Ich habe gesagt, ich würde tierische Produkte verbieten. Da ist ein Riesenstreit ausgebrochen.“

Diese Erfahrung führte dazu, dass sie begann, sich mit den ethischen Grundlagen des Veganismus zu beschäftigen – zum Beispiel mit den Buchklassikern „Für die Tiere ist jeder Tag Treblinka“ von Charles Patterson oder „Die Befreiung der Tiere“ des australischen Philosophen Peter Singer. Letzterer steht für die Kritik am sogenannten Speziesismus, zu dem Veganer wie Raffaela Raab all jene zählen, die das Wohl des Menschen über alle anderen Lebewesen auf der Erde stellen. „Als ich das begriff, sah ich plötzlich überall Tierkadaver und Mörder.“

Militante Veganerin Artikel

„Warst du schon mal mit deiner Tochter auf dem Schlachthof?“

Gerne steigt die Militante Veganerin auch mit Prominenten in den verbalen Ring, um Menschen zum Veganismus zu bekehren. So zum Beispiel mit Leeroy Matata, Youtuber mit 2,2 Millionen Abonnenten für sein Talk-Format „Leeroy wills wissen“, und dem Ex-Profi-Bodybuilder Markus Rühl.

Im Gegensatz zu vielen ihrer ebenso kurzen wie provokanten Straßenauftritte auf TikTok argumentiert die 27-Jährige in dem 47-minütigen Video-Trio über weite Strecken ruhig. Sie erklärt entspannt, wie sie selbst zum veganen Aktivismus gekommen ist und lässt ihre beiden Gesprächspartner zu Wort kommen.

Drastische Vergleiche kann sie sich aber auch in dieser Runde nicht verkneifen. „Würdest du mir jetzt erlauben“, fragt Raab Rühl und deutet auf den Moderator Leeroy, der im Rollstuhl zwischen ihnen sitzt, „ihn zum Schlachter zu schicken?“. Rühls Antwort, wenn sie Tiere mit Menschen gleichsetze, könne man ja auch Schweine in den Bundestag schicken, quittiert sie mit einem kurzen „Nein“ ohne Erklärung.

Als Rühl dann von ihrer fünfjährigen Tochter erzählt, die frei entscheiden könne, ob sie einen Apfel oder ein Salamibrot essen wolle und sich gerne für letzteres entscheide, fragt Raab, ob Rühl mit ihr schon einmal in einem Schlachthof gewesen sei. „Warum sollte ich?“, antwortet der muskulöse Vater. „Damit sie frei entscheiden kann“, sagt Raab. „Du sorgst dafür, dass die Tiere zum Schlachthof kommen. Und dann gibst du ihr die Körperteile dieser getöteten Tiere.“

"Holocaust-Veganerin“

Wie extrem die Militante Veganerin argumentieren kann, beweist sie auch immer wieder, wenn sie den Holocaust als Vergleich für die Massentierhaltung heranzieht. „Ich habe mir dann ein Buch besorgt, wo ich verstanden habe, dass das die größte Massenvernichtung ist, die in der Geschichte der Menschheit auf diesem Planeten je stattgefunden hat“, so ihr hanebüchener Vergleich, der auf „mehrere nicht nur mentale, sondern auch technische Parallelen zum Holocaust“ verweist.

Zwar ist sie dafür noch nicht juristisch belangt worden. Doch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte bereits 2012 in einem Urteil das Verbot einer deutschen Werbekampagne der Tierschutzorganisation „Peta“ bestätigt, die auf einem Plakat das Leid von Masttieren mit einem „Holocaust auf dem Teller“ verglichen hatte.

Auf ihre Unabhängigkeit als radikale Aktivistin scheint dies jedoch erhebliche finanzielle Auswirkungen zu haben. Denn während ähnlich erfolgreiche Influencer mit Klickzahlen wie Raab sich in der Regel ein sorgenfreies Leben leisten können, nützen ihr die hohen Einschaltquoten wenig. „Wer will schon mit der Holocaust-Veganerin arbeiten“, brachte sie das Problem in einem Interview mit dem Spiegel auf den Punkt.

Zur Erzielung eines ausreichenden Einkommens, denn den Arztkittel hat sie aus Liebe zu ihrem veganen Aktionismus inzwischen an den Nagel gehängt – und fast alle anderen Klamotten auch. Denn seit April bietet Raab auf einem entsprechenden Portal erotische Fotos von sich an. Für diese Fleischbeschau ist sie sich nicht zu schade – und posiert in freizügigen Posen – abrufbar für 20 Dollar im Monat oder 120 Euro im Jahr.

Rückgang des Fleischkonsums um 8,1 Prozent im Jahr 2022

Dass für die Fleischindustrie neue Zeiten anbrechen, ob mit oder ohne „militante Veganer“, zeigt ein Blick auf aktuelle Zahlenvergleiche. So ist laut Statistischem Bundesamt die Fleischproduktion im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um satte 8,1 Prozent zurückgegangen. Das ist der höchste Wert seit 2016. Bei Schweinefleisch waren es sogar fast 10 Prozent.

Grund für den Rückgang ist nach Angaben der Statistikerinnen und Statistiker zwar auch die zunehmend schwierige Lage der landwirtschaftlichen Betriebe, die vor allem durch stark gestiegene Produktionskosten wie Futtermittel, Energie und Düngemittel bedingt ist. Aber auch neue Ernährungstrends hätten zu dem starken Rückgang beigetragen.